«Segelsong, Statements und echte Stimmen»

Von der Tagung «Achtung, Mitbestimmung!» an der OST in St. Gallen – und warum es sich lohnt, gemeinsam hinzuschauen.

Schon am Eingang war klar: Diese Veranstaltung will etwas sagen. Ein grosses Warndreieck mit dem Wort «Mitbestimmung» darauf, aufgestellt wie ein Verkehrsschild – Achtung, hier geht’s um etwas! Auch die Gastgeber*innen von der Fachstelle SEGEL trugen das Zeichen auf ihren T-Shirts. Ein starkes Bild. Und eine klare Botschaft: Mitbestimmung ist kein dekoratives Schlagwort. Sie ist ein Prinzip, das Aufmerksamkeit verdient. Und Raum.

Die Tagung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule in St. Gallen – stand unter dem Motto «Achtung, Mitbestimmung!». Wir von der Behindertenseelsorge waren dabei – und haben Eindrücke mitgenommen, Gedanken angestossen bekommen, und uns gefragt: Wo gelingt Teilhabe? Wo braucht es mehr Zeit, mehr Mut, mehr Zusammenarbeit?

Was heisst eigentlich Mitbestimmung?

Schon in der Eröffnung wurde deutlich: Mitbestimmung braucht Zeit, Raum – und ein echtes Miteinander. Ein Satz, der mehrfach zu hören war, lautete: «Mitbestimmung heisst auch, Macht zu teilen – das fühlt sich nicht immer gut an, aber es ist notwendig.» Diese ehrliche Einsicht prägte die Atmosphäre des Tages: persönlich, vielstimmig, manchmal unbequem – aber immer respektvoll.

In kurzen Videos, einem selbstgeschriebenen „Segelsong“, in Wortspielen und Statements brachten die Teilnehmenden ihre Gedanken ein. Der «Segelsong» etwa erzählte davon, gemeinsam Kurs aufzunehmen, Wind und Richtung zu spüren – ein kreatives Bild für Mitbestimmung als gemeinschaftlichen Prozess.

Die Stimmung war offen, fast familiär. Technikprobleme wurden mit Humor genommen. Was zählte, war der Austausch – nicht die perfekte Form.

Inklusion ist keine Zielgruppe, sondern eine Haltung

Was diese Tagung besonders machte: Sie war inklusiv gedacht – und in vielen Momenten auch spürbar gelebt. Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen waren als Gäste und Mitgestaltende vor Ort. Auch Vertreter*innen aus Kirche, Verwaltung, Bildung und sozialen Organisationen. Ein Zeichen dafür, wie weit dieses Thema reicht – und wie viele es beschäftigt.

Die Möglichkeit, sich mit Kopfhörern Texte in einfacher Sprache übersetzen zu lassen, wurde zwar angeboten, aber wenig genutzt. Gleichzeitig hörte man öfter: «Was heisst das?» oder «Ich habe das nicht verstanden.» – Ein Hinweis darauf, wie viel Potenzial in verständlicher Sprache liegt. Oder, wie es ein Teilnehmer formulierte: «Inklusion beginnt bei der Sprache – und endet noch lange nicht dort.»

Teilhabe ist mehr als Anwesenheit

In mehreren Beiträgen wurde betont: Es geht nicht nur darum, irgendwo dabei zu sein. Es geht darum, mitzugestalten. Verantwortung zu übernehmen. Einfluss zu nehmen. Das setzt Strukturen voraus – und den Mut, neue Wege zu gehen.

Ein besonders spannender Impuls kam von Prof. Dr. Matthias Lindenau, der Partizipation philosophisch aufrollte: Teilhabe, Beteiligung, Selbstbestimmung – alles grosse Begriffe, aber oft unklar. Eine zentrale Frage lautete: Wie freiwillig ist eigentlich Partizipation, wenn sie von Systemen eingefordert wird? Und: Ist Selbstbestimmung überhaupt möglich – in einer Welt, in der alle voneinander abhängig sind?

Workshops: Viel Stoff, aber wenig Austausch

Am Nachmittag folgten Workshops – mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Besonders eindrücklich: Der Workshop vom Zentrum AW-ZIB mit Helmut Pflantzer, der als «Experte in eigener Sache» von seiner Ausbildung und Arbeit im inklusiven Team berichtete. Persönlich, reflektiert, ehrlich. Auch mit kritischen Tönen: «Inklusion wird oft als Aushängeschild genutzt – aber nicht im Alltag gelebt.»

Ein weiterer Workshop stellte die Lebensgeschichte von Prof. Dr. Carsten Rensinghoff in den Fokus – ein berührender Bericht, der zugleich Fragen offenliess: Was bedeutet es wirklich, «Experte in eigener Sache» zu sein? Ab wann ist man das? Und was braucht es dafür?

Was auffiel: Die Formate waren eher Input-orientiert. Der Wunsch nach Diskussion, Austausch, praktischen Tools war deutlich spürbar. Oder wie es jemand in der Abschlussrunde sagte: «Ich hätte gerne mehr geredet als zugehört.»

Zwischen Fischernetz, Apéro und offenen Fragen

Zum Schluss gab’s Rillplausch und ein Feedback-Fischnetz: Gedanken auf Papierfischen, aufgehängt in einem Netz – als Abschluss und Einladung, sich weiterhin einzubringen. Die Gespräche am Apéro waren herzlich, offen, berührend. Auch wir als Behindertenseelsorge wurden angesprochen: «Was macht ihr eigentlich genau?» – Eine gute Gelegenheit, zu erzählen, was uns wichtig ist: Räume zu öffnen, Menschen in ihrer Vielfalt wahrzunehmen – und Spiritualität mit Teilhabe zu verbinden.

Etwas schade: Junge Stimmen waren kaum vertreten. Vielleicht ein Hinweis, dass neue Formate und Kommunikationswege gefragt sind. Inklusion heisst eben auch: die nächsten Generationen mitdenken.

Fazit: Ein starkes Zeichen – mit Luft nach oben

Die Tagung war wie ein Segeltörn: nicht immer glatter Kurs, manchmal Gegenwind, aber mit einer starken Crew und einem gemeinsamen Ziel. Mitbestimmung wurde nicht nur thematisiert, sondern auch ein Stück weit erlebbar gemacht. Und ja – Zusammenarbeit lohnt sich. Sie erweitert den Horizont, schafft Vertrauen, macht Mut.

Wir als Behindertenseelsorge sind gerne Teil dieses Weges – sichtbar. hörbar. fühlbar.

📍 Mehr Infos zur Tagung:
🔗 www.ost.ch

von Katharina Kleiser

Bildnachweis: Offizielles Werbebild – Quelle: https://www.ost.ch/fileadmin/processed/2/b/csm_headerbanner_tagung_selbsvertretung_1d823b7a88.jpg

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